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Lies hier den Prolog von "Eden Evangelium I: Genesis".
Prolog
In ihrer Lunge entsteht ein Brennen.
Dicke Wolken hängen zur Erde hinab und drohen, Eden und seine Bewohner zu erdrücken.
»Wieso bewegt sich nichts, zum Teufel?«, zischt die Mutter, die der Anblick ihres Sohnes auf dem Beifahrersitz mit jeder weiteren Minute nervöser werden lässt.
Auf den Straßen herrscht Stillstand.
»Ob im Radio darüber berichtet wird, was da draußen los ist?« Angespannt dreht sie am Senderknopf, aber es ertönt nur Rauschen und Kratzen. »Verdammtes Drecksteil!«, flucht sie und hämmert auf der Armatur herum. Sie schaut erneut sorgenvoll zum Beifahrersitz. »Wie fühlst du dich, Porter?«
Der Junge mit dem braunen Wuschelkopf ist kalkweiß im Gesicht und stöhnt gequält. Unerträglicher Schmerz lässt seine Muskeln am ganzen Körper krampfen. Fieberschweiß rinnt von seinen Schläfen. Doch es ist nicht das Fieber allein, was ihm den Schweiß vom Kinn tropfen lässt.
Seine Mutter reibt sich über die feuchte Stirn und zupft an ihrem Blusenkragen.
»Halt durch«, murmelt sie.
Er atmet tief ein und aus. »Ich glaube, ich muss mich übergeben.« Kurzerhand stößt er die Wagentür auf und erbricht sich auf den Asphalt.
Seine Mutter tätschelt ihm den Rücken und überlegt, was sie unternehmen kann. Porter braucht dringend einen Arzt.
»Mir reicht’s!«, sagt sie und löst ihren Gurt.
»Was hast du vor?«, fragt der Junge, der aus der Autotür hängt.
»Ich versuche, Hilfe zu finden.«
»Du willst mich hier allein lassen?«
»Uns bleibt nichts anderes übrig. Wenn es dein Blinddarm ist, können wir nicht länger warten. Ich beeile mich.«
Sie hilft ihm zurück in den Sitz und wischt den Schweiß von seiner Stirn.
»Geh nicht weg«, scherzt sie und steigt aus dem Wagen.
Sofort zerrt ein ungewöhnlicher Wind an ihrer Kleidung. Andere Menschen stehen bei ihren Fahrzeugen.
»Gab es einen Unfall?«, fragt sie ihren Nebenmann über das Dach ihres Autos hinweg.
»Keine Ahnung. Niemand weiß was«, sagt er und tupft sich mit dem Einstecktuch seines Nadelstreifenanzugs den Schweiß von den Schläfen.
»Sie haben nicht zufällig ein Funktelefon da drin?« Die Mutter beäugt den olivgrünen Mercedes.
»Vergessen Sie’s. Kein Empfang.«
»Was ist denn jetzt los?«, schrillt die Stimme der blonden Begleitung des Mercedesfahrers aus dem offenen Autofenster.
Das Heulen von Sirenen bricht über die gesamte Stadt herein.
»Ach, sicher wieder ein Großbrand. Ich seh’s kommen, eines Tages fackelt diese vermaledeite Stadt bis auf ihre Grundmauern ab.« Brummig zwirbelt er ein Ende seines ergrauten Schnauzbarts.
»Aber ich sehe keinen Rauch, Harri!« Sie reckt den Kopf hinaus und tastet mit ihrem Blick das Firmament ab.
Nirgendwo die kleinste Rußschwade.
»Das sind keine Brandheuler«, sagt die Mutter. »Das sind die Warnheuler des Katastrophenschutzes.«
Dunkel und durchdringend jault der Dauerton über Eden, treibt erste Menschen von den Straßen.
»Aber die Katastrophenschutzübung war vor Monaten«, sagt die Frau.
»Nehmen Sie Ihr Täubchen und suchen Sie einen Schutzraum auf«, sagt die Mutter zu dem Mercedesfahrer, der ganz bleich um seine Knollnase ist.
Ohne Umschweife öffnet er seiner Freundin die Wagentür und hilft ihr hinaus. Auf hohen Hacken stakst sie um das Auto herum und streicht sich die Sitzfalten aus ihrem knappen Designer-Kostüm.
»Und was ist mit Ihnen und Ihrem Jungen?«, fragt der Mann. »Der Bursche sieht gar nicht gut aus.«
Porter hängt schlapp in seinem Gurt.
»In seinem Zustand kann er auf keinen Fall in einen Schutzraum«, sagt die Mutter sorgenvoll.
Harri schaut sich um. »Da hinten steht ein Krankenwagen.« Er deutet über eine Kreuzung. »Vielleicht kann ihm da jemand helfen.«
Porter erscheint es wie eine Ewigkeit, die seine Mutter fort ist. Ein stetes Heulen drängt sich seinen Ohren auf. Der Fieberschweiß rinnt ihm in die Augen und trübt seine Sicht.
Er bemerkt immer mehr Schatten, die am Wagen vorbeihuschen. Es sind die verschwommenen Silhouetten der Menschen, die zwischen die Autos über die Straße laufen.
Ein grelles Licht blendet ihn durch die Frontscheibe. Ist das die Sonne? Er kneift die Augen zusammen.
Nein.
Bedrohlich sinkt es auf die Stadt herab. Wo um alles in der Welt steckt seine Mutter?
Die hämmert gegen die Tür des Krankenwagens. Der Fahrer kurbelt das Fenster herunter.
»Bitte helfen Sie mir! Mein Sohn braucht dringend medizinische Hilfe!«
Ratlos schaut er seinen Kollegen an.
»Der Wagen steckt fest und der Funk ist tot.«
»Bitte, es ist ernst«, fleht die Mutter, »jemand muss ihn sich ansehen. Der Notruf ging nicht durch. Mein Mann ist Internist im Städtischen. Auf dem Weg dorthin sind wir steckengeblieben.«
»Frank, hol den Rucksack«, meint der Fahrer.
»Ich danke Ihnen!«, sagt die Mutter und tritt von der Autotür zurück.
»Wie heißt Ihr Mann?«
»Ben Peleides.«
»Sind Sie die Krankenschwester mit dem Schandmaul, die er geheiratet hat?«
»Scheint, als sei mein Ruf mir vorausgeeilt«, murmelt sie.
Die Krankenschwester mit dem Schandmaul.
So haben sie ihre Kollegen und Kolleginnen früher scherzhaft genannt. Offensichtlich hatte sie einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Kaum setzen sie sich in Bewegung, läuft ihnen ein vermummter Polizist entgegen. Auf dem Oberarm seines dunkelblauen Overalls das Wappen vom Katastrophenschutz. Er winkt energisch.
»Drehen Sie um!«, dringt es dumpf durch seine Gasmaske. »Im Einkaufszentrum befindet sich der nächstgelegene Schutzraum.«
Weitere maskierte Polizisten holen Leute aus ihren Autos und treiben sie die Straße hinunter.
»Nein, mein Sohn ist noch im Wagen! Wir müssen ihn holen!«, fleht sie und zeigt auf die Sanitäter.
»Die Kollegen sind sicher vor Ort.«
Doch die Mutter gibt sich nicht damit zufrieden.
»Es ist gleich da vorne«, sagt sie und läuft an dem Beamten vorbei.
Die Sanitäter folgen ihr und dem Beamten bleibt nichts anderes übrig, als mit ihnen mitzulaufen.
Den Männern voraus, schlängelt sie sich zwischen den Autos hindurch. Dann erstarrt sie.
Das Auto ist leer. Die Beifahrertür steht offen. Von Porter keine Spur.
»Oh nein! PORTER!«
»Kommen Sie!«, sagt der Polizist und greift nach ihrem Arm. In seinem Nacken ein gleißendes Licht, das sich auf die Häuserschluchten hinabsenkt.
»Nein! Ich muss ihn finden! Mit seinen Schmerzen kann er nicht weit sein!«
»Es ist zu gefährlich. Alle Zivilisten sind umgehend aus der Gefahrenzone zu entfernen!«
»Sie entfernen mich nicht ohne meinen Sohn!«
Mit einem Ruck reißt sie sich los und läuft davon, direkt in einen Strom Menschen, der ihr entgegen peitscht.
»Hören Sie, bestimmt hat ihn ein Kollege gefunden und mitgenommen!«, ruft er ihr nach.
Sie kann sich unmöglich auf Vermutungen verlassen.
»Mein Kind braucht mich!«
Sie muss Porter finden. Koste es, was es wolle!
So kämpft sie sich durch die Massen, hält Leute auf, um sie zu fragen, ob sie einen fünfzehnjährigen Jungen in dicker Strickjacke gesehen haben.
»Er ist schwer zu übersehen, denn er ist wahnsinnig groß für sein Alter!« Aber die Menschen laufen panisch weiter. »Bitte, er ist krank!«
Porter bekommt von der Verzweiflung seiner Mutter nichts mit.
Trotz seiner Schmerzen taumelt er voran. Ein Druck lastet auf seinen Ohren und lässt jedes Geräusch wie durch einen Wattebausch klingen - dumpf, begleitet von einem Rauschen. Dicke, nasse Haarsträhnen kleben in seinem Gesicht. Seinen Lungen fällt es schwer, die sämige Luft einzuatmen. Ab und zu ertönt ein Grollen über ihm wie das eines aufkommenden Gewitters.
Es ist sicher nicht klug gewesen, aus dem Auto zu steigen und davonzulaufen. Doch das Licht zieht ihn an wie eine Motte. Unaufhaltsam steuert er darauf zu.
»PORTER!«, schreit seine aufgelöste Mutter immer wieder und ist schon ganz heiser. Der Staub in der Luft trocknet ihre Kehle aus.
Vor einer Straßensperre trifft sie auf einen Tumult. Ihr Blick sucht nach dem Wuschelkopf, der alle anderen überragen sollte. Aber Porter ist nirgends zu erkennen. Beamte des Katastrophenschutzes heißen die Leute zur Umkehr an.
»Laufen Sie in die andere Richtung!«, brüllen sie.
In der nächsten Sekunde flutet ein gleißendes Licht die Sphären der Stadt. Ein Knall im Inneren der Kugel bringt sie zum Bersten. Die Menschen reißen die Arme vor die Augen und hören nur, wie sie über ihren Köpfen zerspringt.
Ist dies der jüngste Tag?
Die kometenartigen Fragmente regnen in die Straßenschluchten und lassen die Massen vollkommen durchdrehen. Sie versuchen, in alle Richtungen zu fliehen, doch es gibt kaum ein Entkommen.
Die Erde bebt.
Der erste Einschlag sitzt Porter tief in den Knochen. Der Zweite und Dritte lassen nicht auf sich warten. Gebäude fallen wie Kartenhäuser in sich zusammen, was eine tosende Lawine aus Staub und Dreck lostritt. Sie quillt aus den Gassen. Nur ein paar wenige Menschen schaffen es, sich in Hauseingänge zu zwängen, bevor sie alles überrollt.
Andere reißen langsamere zu Boden, um nicht von ihnen auf ihrer Flucht aufgehalten zu werden. Mit wenig Erfolg. Die Lawine erfasst und begräbt jeden Einzelnen unter sich.
So auch Porter, dem der zentimeterdicke Staub Nase und Augen verklebt. Röchelnd ringt er nach Luft.
Zitternd versucht er, aufzustehen, stützt sich mit Ellen und Knien ab. Galle schießt aus seinem Rachen. Sein Körper vermag sich vor Entkräftung nicht mehr zu erheben. Stattdessen sackt er wieder flach in den Dreck.
»Steh auf, Junge!«, ruft ein Mann, der angelaufen kommt, während niemand sonst dem hilflosen Porter Beachtung schenkt.
Der Mann gibt ihm Halt und versucht, ihn zum Weitergehen zu bewegen. Aber Porter schafft es nicht mehr. Der bleischwere Kopf knickt ihm in den Nacken. Sein verschwommener Blick erfasst all die schillernden Farben, in die das Licht sich bricht. Es schwebt direkt über ihnen und es nimmt alles ein.
Die Menschen lugen aus den Hauseingängen und zeigen darauf.
Von jetzt auf gleich verfällt der Junge in eine sonderbare Gelassenheit. Alles um ihn herum verlangsamt sich, bis jede Bewegung stillzustehen scheint. Das Tosen und die Schreie der Menschen entfernen sich aus seinen Gedanken, bis Stille ihn umgibt.
Er nimmt nicht wahr, wie der Mann ihn loslässt und sich hinter ein Auto wirft. Porter sinkt auf die Knie in den wirbelnden Dreck und starrt ins Licht.
Die Atmosphäre glüht, die Erde bebt, Feuerbälle regnen vom Himmel und ihr goldener Schatten fällt langsam auf ihn herab.
Ein Schwarm strahlender Schmetterlinge berührt sein flatterndes Herz und bringt es zur Ruhe. Es sind leuchtend blaue Himmelsfalter, die seine Seele erzittern.
Wärmend umschmiegt das Licht seine Glieder, vertreibt den Schmerz. Einen Moment lang überkommt ihn Friede, bevor alles in erbarmungsloses Dunkel fällt und das Tosen zurückkehrt.
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